Als Teil der zirkulären Bauwirtschaft verändert Re-Use die Planung, aber auch die Ästhetik. Anja Gillies und Maria Groß, Bereichsleiterinnen des interdisziplinären Raumdesigns bei Konrad Knoblauch, erklären, warum Re-Use nichts Neues ist – und worin die Vorteile liegen.
Maria: Absolut nicht. Wenn man in die gesamte Baugeschichte zurückblickt, sieht man, dass Materialien und Bauteile schon immer wiederverwendet wurden. Das reicht bis in die Antike zurück. Baumaterial war immer teuer und knapp, daher wurde beim Bauen drauf geachtet, Ressourcen wiederzuverwenden. Das ging so weit, dass auf Kriegszügen gestalterische Architekturelemente erbeutet und zur Machtdemonstration in eigenen Triumpf-Bauten zur Schau gestellt wurden.
Anja: Man spricht dann von Spolien. Sie können aus einer älteren oder auch aus einer anderen Kultur stammen. Ein berühmtes Beispiel ist der Konstantinbogen in Rom, für den alte Säulen und Reliefs von mehrerer römischen Kaisern verwendet wurden. Re-Use gab es also schon immer: in der Antike, im Mittelalter, in der Renaissance – bis heute. Ein zeitgenössisches Beispiel mit einer Spolie ist das Staatsratsgebäude in Berlin, bei dem die nüchterne DDR-Fassade um das Portal des ehemaligen Berliner Schlosses geplant wurde.
Anja: Ja, definitiv. Mit der Erfindung des Betons und dem Wirtschaftsaufschwung in den 1950er-Jahren gab es einen Neubauboom, der die Wiederverwendung total in den Hintergrund gestellt hat, und uns vergessen hat lassen, wie wertvoll Re-Use eigentlich ist. Grundsätzlich muss man sich vor Augen führen, welchen Wert ein Bestandsbau hat. Einer der größten Mehrwerte ist dabei immer seine Geschichte.
Anja: Nein, in den meisten Fällen nicht. Trotzdem muss man immer jedes Projekt einzeln betrachten. Es ist erstmal eine ganz andere Herangehensweise, weil man nicht diese unendliche, gestalterische Freiheit hat. Aber man bekommt im Gegenzug dafür ganz viel mit – in Bezug auf Materialität und Geschichte: Dann sprechen wir von „adaptive Re-Use“.
Maria: Es gibt weltweit realisierte Projekte, die zeigen, dass die Umnutzung von Bestandsgebäuden herausragend funktioniert: Ein sehr bekanntes Beispiel ist die Elbphilharmonie in Hamburg, deren Sockel der alte Kaiserspeicher ist. In Offenburg wurde ein ehemaliges Gefängnis zum Luxushotel umgebaut: Die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes ist hier elementar und macht das Raumerlebnis einzigartig.
Anja: Leider eigenen sich nicht alle Gebäude für „adaptive Re-Use“. Trotzdem kann man Gebäude noch als Materiallager nutzen. Man spricht dann von „Urban Mining“.
Anja: Ja, auf jeden Fall. Re-Use ist vielschichtig. Auf zahlreichen Plattformen werden mittlerweile verschiedenste Bauteile zum Kauf und Verkauf angeboten, wie zum Beispiel echtes Altholz, historische Türen, Fliesen, Klinken – eigentlich fast alles. Dadurch ist Abbruch eigentlich keine Option mehr, wenn man den geldwerten Vorteil von alten Gebäuden erkennt. Da wird die Nachhaltigkeit im Sinne der Kreislaufwirtschaft fast nur noch zum positiven Nebeneffekt.
Maria: Daher ist es bei zukünftigen Projekten wichtig, auf Sortenreinheit zu achten. Nur so ist eine nachhaltige, einfache Wiederverwendung möglich. Dann sieht Re-Use, entgegen einiger Sorgen, auch nicht nach „Second Hand“ aus. Der Fokus liegt zukünftig in der Planung und im Detail. Was wir dafür brauchen ist ein neues Verständnis für Gestaltung und Ästhetik. Wir müssen alle gemeinsam umdenken.
Re-Use: Ist die Wiederverwendung von Baustoffen, Bauteilen und Gebäuden. Im Sinn der Kreislaufwirtschaft und dem damit verbunden Zero Waste Prinzip mit den 5 R´s (Refuse, Reduce, Re-Use, Recycle, Rot) werden diese durch Wiederverwendung möglichst lange im Zyklus gehalten.
Adaptive Re-Use: Ist die Wiederverwendung eines Gebäudes für einen anderen Zweck, als für den es ursprünglich gebaut wurde.
Urban Mining: Betrachtet die Stadt und deren Gebäude als Rohstofflager für neue Bauprojekte.